Betriebsverfassungsgesetz und Sozialgericht

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Grundlagen der Arbeitsgerichtsbarkeit

     

    I. Struktur der Arbeitsgerichtsbarkeit

    Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist gemäß Art. 92, 20 Abs. 3 Grundgesetz Teil der rechtsprechenden Gewalt des Staates. Sie besteht aus drei Instanzen:

  • Arbeitsgerichte,
  • Landesarbeitsgerichte und
  • Bundesarbeitsgericht.
  • Bei den Arbeitsgerichten findet vor der eigentlichen Streitverhandlung zunächst ein Güteverfahren unter Leitung eines Berufsrichters statt. Gelingt keine Einigung, entscheidet die Kammer unter dem Vorsitz eines Berufsrichters und jeweils einem Arbeitnehmer- und einem Arbeitgeberbeisitzer. Im Gegensatz zu den ordentlichen Gerichten sind allerdings einige Besonderheiten zu beachten:
  • An der Rechtssprechung der Arbeitsgerichte wirken dann  in allen Instanzen neben den Berufsrichtern ehrenamtliche Richter mit, die paritätisch aus Kreisen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer berufen werden.

    Die Mitwirkung von ehrenamtlichen Richtern hat dabei in der Arbeitsgerichtsbarkeit eine lange Tradition: Durch Einbeziehung der unmittelbaren Anschauungen des Arbeitslebens soll die gewünschte lebensnahe Rechtssprechung der Arbeitsgerichte erreicht werden. Die ehrenamtlichen Richter sind ebenso wie die Berufsrichter neutral und unabhängig. Sie werden zwar von Arbeitgeberverbänden und Arbeitnehmervereinigungen (Gewerkschaften) benannt, üben ihr Amt aber unparteilich und frei von Weisungen und Einflüssen aus. Sie sind gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz nur an Gesetz und Recht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

    Die ehrenamtlichen Richter müssen aktiv als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber im Bezirk des Arbeitsgerichts tätig sein, an das sie berufen worden sind. Sie müssen älter als 25 Jahre als sein. Die Amtsdauer beträgt 5 Jahre.

    Das Landesarbeitsgericht entscheidet ebenfalls unter dem Vorsitz eines Berufsrichters unter Mitwirkung von zwei Beisitzern. Zum Landesarbeitsgericht können nur solche ehrenamtlichen Richter berufen werden, die dieses Amt beim Arbeitsgericht bereits 5 Jahre ausgeübt haben.

    Handelt es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung, kann das Landesarbeitsgericht die Revision zum Bundesarbeitsgericht in Erfurt zulassen. Die 10 Senate des Bundesarbeitsgerichts sind jeweils mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt.

    Zum Bundesarbeitsgericht können nur solche ehrenamtlichen Richter berufen werden, die mindestens 35 Jahre alt sind und mindestens 5 Jahre als ehrenamtliche Richter eines Gerichts für Arbeitssachen tätig gewesen sind.

    Eine umfassende Übersicht über die Deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit findet sich unter

    http://www.arbeitsrecht.de/gericht/gericht1.htm

     

    Ein weiterer besonderer Unterschied liegt darin, dass es – anders als bei den ordentlichen Gerichten – in der 1. Instanz keine Kostenerstattungspflicht der unterliegenden Partei gibt.

    Wer das Verfahren also verliert, ist zwar zur Übernahme der (nicht sehr hohen) Gerichtskosten verpflichtet, nicht jedoch zur Übernahme etwa der (sehr viel höheren) Anwaltskosten. 

     

    Immer bedeutender werden auch für die nationale Rechtsprechung im Bereich des Arbeitsrecht die Entscheidungen des Europäischer Gerichtshofs, Dieser hat zwar keine originäre Zuständigkeit für das Arbeitsrecht, kann aber immer dann eingreifende Entscheidungen treffen, wenn es um Fragen der europäischen Rechtsharmonisierung geht – also auch im Bereich des Arbeitslebens (Stichwort: Bosmann – Urteil).

     

    Einige wichtige Entscheidungen finden sich dazu unter:

     

    http://curia.eu.int/de/index.htm

     

     

    II. Zuständigkeit und  Aufgaben der Arbeitsgerichtsbarkeit

     

    Im Arbeitsleben gibt es zahlreiche Anlässe, die zu einem Streit führen können. Da sind vor allem die vielen Fälle, in denen der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos oder fristgerecht kündigt und der Arbeitnehmer die Kündigung für ungerecht hält. Da wird eine Lohnabrechnung nicht akzeptiert, weil der Arbeitnehmer sie für unkorrekt hält oder meint, der Lohn müsse höher sein, weil ein Tarifvertrag anwendbar ist. Oder ein Arbeitnehmer fügt bei der Ausübung seiner Arbeit dem Betrieb einen Schaden zu, dessen Erstattung verlangt wird. Schließlich kann Streit darüber bestehen, ob ein Betriebsrat wirksam gewählt worden ist. Oder der bestehende Betriebsrat macht bei betrieblichen Maßnahmen des Arbeitgebers Mitbestimmungsrechte geltend.

    In diesen und vielen anderen Fällen lassen sich Konflikte nicht immer im direkten Gespräch zwischen den Betroffenen lösen. Kann eine friedliche Einigung über den Streitfall auch nach Einschaltung der zuständigen Verbände (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) oder des Betriebsrats nicht erreicht werden, können die Arbeitsgerichte angerufen werden. Die Zuständigkeiten der Arbeitsgerichtsbarkeit sind in § 2 und § 2a Arbeitsgerichtsgesetz aufgezählt.

     

  • § 2 ArbGG Zust¦ndigkeit im Urteilsverfahren
  • 1) Die Gerichte für Arbeitssachen sind ausschließlich zuständig für
    1.  bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien oder zwischen diesen und Dritten aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen;
    2.  bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen tariffähigen Parteien oder
        zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um
        Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der
        Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden
        Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt;
    3.  bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
        a)  aus dem Arbeitsverhältnis;
        b)  über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses;
        c)  aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses und
            aus dessen Nachwirkungen;
        d)  aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im
            Zusammenhang stehen;
        e)  über Arbeitspapiere;
    4.  bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern oder ihren
        Hinterbliebenen und
        a)  Arbeitgebern über Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis  rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen;
        b)  gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien oder
            Sozialeinrichtungen des privaten Rechts über Ansprüche aus dem
            Arbeitsverhältnis oder Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in
            rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen,
        soweit nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts
        gegeben ist;
    5.  bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern oder ihren
        Hinterbliebenen und dem Träger der Insolvenzsicherung über Ansprüche auf
        Leistungen der Insolvenzsicherung nach dem Vierten Abschnitt des Ersten
        Teils des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung; 6.
        bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Einrichtungen
        nach Nummer 4 Buchstabe b und Nummer 5 sowie zwischen diesen
        Einrichtungen, soweit nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines
        anderen Gerichts gegeben ist;
    7.  bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Entwicklungshelfern und Trägern
        des Entwicklungsdienstes nach dem Entwicklungshelfergesetz;
    8.  bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen den Trägern des freiwilligen
        sozialen Jahres und Helfern nach dem Gesetz zur Förderung eines
        freiwilligen sozialen Jahres und bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen
        den Trägern des freiwilligen ökologischen Jahres und Teilnehmern nach dem
        Gesetz zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres;
    9.  bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern aus gemeinsamer
        Arbeit und aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem
        Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen;
    10. bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen behinderten Menschen im
        Arbeitsbereich von Werkstätten für behinderte Menschen und den Trägern der
        Werkstätten aus den in § 138 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch
        geregelten arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnissen.
  • (2) Die Gerichte für Arbeitssachen sind auch zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern,
  • a)  die ausschließlich Ansprüche auf Leistung einer festgestellten oder
        festgesetzten Vergütung für eine Arbeitnehmererfindung oder für einen
        technischen Verbesserungsvorschlag nach § 20 Abs. 1 des Gesetzes über
        Arbeitnehmererfindungen zum Gegenstand haben;
    b)  die als Urheberrechtsstreitsachen aus Arbeitsverhältnissen ausschließlich
        Ansprüche auf Leistung einer vereinbarten Vergütung zum Gegenstand haben.
  • (3) Vor die Gerichte für Arbeitssachen können auch nicht unter die Absätze 1 und 2 fallende Rechtsstreitigkeiten gebracht werden, wenn der Anspruch mit einer bei einem Arbeitsgericht anhängigen oder gleichzeitig anhängig werdenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Art in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang steht und für seine Geltendmachung nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist.
  • (4) Auf Grund einer Vereinbarung können auch bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen des Privatrechts und Personen, die kraft Gesetzes allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans der juristischen Person zu deren Vertretung berufen sind, vor die Gerichte für Arbeitssachen gebracht werden.
  • (5) In Rechtsstreitigkeiten nach diesen Vorschriften findet das Urteilsverfahren statt.
  • ᄃ 2a ArbGG Zust¦ndigkeit im Beschlussverfahren
  • 1) Die Gerichte für Arbeitssachen sind ferner ausschließlich zuständig für
  • 1.  Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz, soweit nicht für
        Maßnahmen nach seinen §§ 119 bis 121 die Zuständigkeit eines anderen
        Gerichts gegeben ist;
    2.  Angelegenheiten aus dem Sprecherausschussgesetz, soweit nicht für Maßnahmen
        nach seinen §§ 34 bis 36 die Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben
        ist;
    3.  Angelegenheiten aus dem Mitbestimmungsgesetz, dem
        Mitbestimmungsergänzungsgesetz und dem Betriebsverfassungsgesetz 1952,
        soweit über die Wahl von Vertretern der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat
        und über ihre Abberufung mit Ausnahme der Abberufung nach § 103 Abs. 3 des
        Aktiengesetzes zu entscheiden ist;
    3a. Angelegenheiten aus den §§ 94, 95, 139 des Neunten Buches
        Sozialgesetzbuch,
    3b. Angelegenheiten aus dem Gesetz über Europäische Betriebsräte, soweit nicht
        für Maßnahmen nach seinen §§ 43 bis 45 die Zuständigkeit eines anderen
        Gerichts gegeben ist;
    3c. Angelegenheiten aus § 18a des Berufsbildungsgesetzes;
    4.  die Entscheidung über die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit einer
        Vereinigung.
  • (2) In Streitigkeiten nach diesen Vorschriften findet das Beschlussverfahren statt.
  • III. Verfahrensablauf in der Arbeitsgerichtsbarkeit

    Der Ablauf eines Arbeitsgerichtsprozesses unterscheidet sich in wenigen, aber dafür wichtigen Punkten von einem “gewöhnlichen” Zivilrechtsstreit.

    Das Urteilsverfahren beginnt in erster Instanz mit der Klagerhebung bzw. der Beantragung eines Mahnbescheids.

    Zunächst findet dann eine Güteverhandlung vor dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung der Parteien statt. Der Vorsitzende kann die Güteverhandlung mit Zustimmung der Parteien in einem weiteren Termin, der alsbald stattzufinden hat, fortsetzen. Kommt eine gütliche Einigung nicht zustande, wird ein Termin zur streitigen Verhandlung vor der Kammer anberaumt. Die Kammer ist erst dann besetzt mit dem Vorsitzenden und den oben beschriebenen, zwei ehrenamtlichen Richtern.

    Erst zu diesem Termin haben die Parteien umfassend unter Beweisantritt schriftlich vorzutragen. Die Verhandlung vor der Kammer ist möglichst in einem Termin zu Ende zu führen, gegebenenfalls mit einer Beweisaufnahme. Die erste Instanz wird mit der Verkündung des Urteils abgeschlossen.

    Die zweite Instanz ist das Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht.

    Die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil ist allerdings nur dann  möglich, wenn

  • 1. diese in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen ist oder
    2. der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,- € übersteigt oder
    3. es sich um eine Streitigkeit über das Bestehen, das Nichtbestehen
       oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses handelt.
  • Die Frist für die Einlegung der Berufung und die Frist für die Begründung der Berufung betragen je einen Monat. Nach Zustellung der Berufungsbegründung an den Berufungsbeklagten muss dieser binnen eines Monats schriftlich die Berufung beantworten. Die Berufungsverhandlung findet vor der Kammer statt. Das Urteil ist binnen vier Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu verkünden.
  • Die dritte Instanz, das Revisionsverfahren, findet beim Bundesarbeitsgericht statt. Die Revision ist in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts zuzulassen, wenn die Sache von grundsätzlicher Bedeutung ist oder das Urteil von der Rechtsprechung im Arbeitsgerichtgesetz näher bezeichneter Gerichte (u.a. des Bundesarbeitsgerichtes) abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Die Frist für die Einlegung der Revision sowie die Frist für die Begründung der Revision beträgt jeweils einen Monat. Die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung hat unverzüglich zu erfolgen. Die Verwerfung der Revision ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein Urteil.

    Das Beschlussverfahren ist ein besonderes Verfahren, welches für bestimmte Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz, dem Sprecherausschussgesetz und dem Mitbestimmungsgesetz vorgesehen ist. Dieses Verfahren wird nicht durch eine Klage, sondern durch einen Antrag eingeleitet. Eine mündliche Verhandlung ist nicht unbedingt erforderlich. Das Arbeitsgericht entscheidet durch einen schriftlichen Beschluss.

    Für die zweite und dritte Instanz gilt Vergleichbares wie beim Klageverfahren:

    Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt. Sofern zugelassen, findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt.

     

     

    1.2.4 Grundzüge der Sozialgerichtsbarkeit

     

    I. Struktur der Sozialgerichtsbarkeit

     

    Auch die Sozialgerichtsbarkeit ist eine eigenständige Gerichtsbarkeit. Ihre Gerichte kontrollieren die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der meisten Sozialverwaltungen. Die Sozialgerichtsbarkeit besteht gleich geordnet neben den anderen Gerichtsbarkeiten: den Zivil- und Strafgerichten, den Arbeitsgerichten, den Finanzgerichten und den Verwaltungsgerichten. Sie besteht  ebenfalls aus drei Instanzen:

  • Sozialgerichte,
  • Landessozialgerichte und
  • Bundessozialgericht.
  • In allen drei Instanzen wirken neben Berufsrichtern und Berufsrichterinnen auch ehrenamtliche Richter und Richterinnen mit.

    Die erste Instanz bilden die Sozialgerichte, die jeweils für einen bestimmten Bezirk zuständig sind.
    Sie entscheiden über alle Streitigkeiten, die nach dem Sozialgerichtsgesetz zu ihren Aufgaben gehören. Jedes Sozialgericht hat verschiedene Kammern. Eine Kammer bearbeitet eines oder mehrere Rechtsgebiete aus dem Sozialrecht.

    Die zweite Instanz bilden die Landessozialgerichte. Für jedes Bundesland gibt es jeweils ein Landessozialgericht, mehrere Bundesländer können allerdings ein gemeinsames Landessozialgericht errichten. Das LSG entscheidet über die Berufungen gegen die Urteile und über die Beschwerden gegen andere Entscheidungen (z.B. Beschlüsse) der Sozialgerichte in seinem Bundesland. Beim Landessozialgericht kann wie in der ersten Instanz Beweis erhoben werden. Die für die Entscheidung wichtigen Tatsachen können also auch in der zweiten Instanz noch ermittelt werden, wie z.B. Zeugenaussagen, Einholung von Gutachten, Auskünften und Urkunden.

    Jedes Landessozialgericht hat mehrere Senate. Ein Senat bearbeitet wiederum eines oder mehrere Rechtsgebiete aus dem Sozialrecht. Jeder Senat entscheidet mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern. Einer der Berufsrichter ist dabei der Vorsitzende.

    Die dritte Instanz ist das Bundessozialgericht mit Sitz in Kassel. Es entscheidet über die Revisionen gegen Urteile der Landessozialgerichte. Wenn das Landessozialgericht die Revision nicht zugelassen hat, entscheidet das BSG ferner über Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision. In der dritten Instanz wird nur noch über Rechtsfragen entschieden. Die für die Entscheidung wichtigen Tatsachen müssen zuvor in der ersten oder zweiten Instanz ermittelt worden sein.
  • Auch das Bundessozialgericht hat mehrere Senate. Ein Senat bearbeitet wiederum eines oder mehrere Rechtsgebiete aus dem Bereich des Sozialrechts. Auch beim Bundessozialgericht entscheiden die Senate mit einem Vorsitzenden und zwei beisitzenden Berufsrichtern sowie zwei ehrenamtlichen Richtern.

     

    Auch in der Sozialgerichtsbarkeit wirken in allen drei Instanzen ehrenamtliche Richter mit. Sie haben dieselben Rechte und Pflichten wie die Berufsrichter und sind ebenfalls unabhängig und frei von Weisungen. Bei der Abstimmung unter den Richtern haben sie das gleiche Stimmrecht wie die Berufsrichter.

    Sie werden für die Dauer von fünf Jahren mit der Möglichkeit der erneuten Bestellung  berufen.

    Die Berufung der ehrenamtlichen Richter erfolgt dabei aufgrund von Vorschlagslisten, die von Vereinigungen aufgestellt werden, die jeweils einen Bezug zu dem Gebiet des Sozialrechts haben, auf dem die ehrenamtlichen Richter tätig werden sollen. So schlagen im Arbeitsförderungsrecht z.B. Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen ehrenamtliche Richter vor. Im Schwerbehindertenrecht und bei den Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung sind es Vereinigungen der Schwerbehinderten und Kriegsopfer sowie die Landesversorgungsämter. Im Vertragsarztrecht sind es die ärztlichen Vereinigungen und die Zusammenschlüsse der Krankenkassen.


     

    II. Zuständigkeit und Aufgaben der Sozialgerichtsbarkeit
     

    Nach dem Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Sozialgerichtsbarkeit für Streitfälle in vielen Bereichen des Sozialrechts ausschließlich zuständig. Die Sozialgerichte sind im Allgemeinen zuständig für Rechtsstreite über gesetzliche Sozialleistungen.

    Das sind zunächst Angelegenheiten der Sozialversicherung. Dazu gehören:

  • Krankenversicherung
  • Pflegeversicherung
  • Rentenversicherung
  • Unfallversicherung
  • Weitere wesentliche Bereiche, über die die Sozialgerichte entscheiden, sind:
  • Arbeitslosenversicherung
  • Schwerbehindertenrecht
  • Soziales Entschädigungsrecht
  • Vertragsarztrecht

  • Die Sozialgerichte sind darüber hinaus für manche nicht so häufig vorkommende Streitfälle im Sozialrecht zuständig. Dazu gehören beispielsweise Streitigkeiten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte und dem Bundeserziehungsgeldgesetz.
  •  

     

    III. Das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit

     

    Im Gegensatz zur Arbeitsgerichtsbarkeit betrifft die Sozialgerichtsbarkeit allerdings das öffentliche Recht, denn Träger von Sozialleistungen sind nun einmal in aller Regel keine Privaten oder Unternehmen, sondern Behörden und damit öffentliche Einrichtungen.

     

    Daraus erklärt sich dann auch der wichtigste Unterschied zur Arbeitsgerichtsbarkeit:


    Es gilt der sog. Amtsermittlungsgrundsatz. was bedeutet, dass das Sozialgericht von sich aus den Sachverhalt ermittelt.  Es ist zu dieser Aufklärung des Sachverhalts zwingend verpflichtet. Dabei kann und muss es allerdings auch alles dazu Erforderliche tun, sei es z.B. Auskünfte oder Gutachten einholen, Akten von Behörden oder aus anderen Prozessen beiziehen, Zeugen vernehmen, usw.
     

    Die Parteien des Sozialgerichtsprozesses sind lediglich berechtigt bzw. verpflichtet, bestimmte Ermittlungen anzuregen bzw. dabei unterstützend tätig zu werden Das Gericht kann z.B. noch nähere Angaben zum Sachverhalt oder die Namen und Anschriften von Zeugen erfragen, weiterhin sind oftmals Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden usw. In jedem Fall aber gilt:

    Das Sozialgericht entscheidet allein, ob es die angeregten Ermittlungen für notwendig hält oder nicht.

     

    Vergleichbar zur Arbeitsgerichtsbarkeit besteht allerdings bei den Sozialgerichten weitgehende Kostenfreiheit. Für Versicherte, Leistungsempfänger und Behinderte ist das Verfahren vor den Sozialgerichten insofern grundsätzlich kostenfrei. Nur wer nicht als Mitglied einer dieser Personengruppen klagt, muss Gerichtskosten zahlen (z.B. Ärzte und Arbeitgeber).

    Die Kostenfreiheit für diese Personengruppen gilt auch dann, wenn man den Prozess verloren hat, da niemand aus Furcht vor Gerichtskosten daran gehindert werden soll, den Schutz seiner sozialen Rechte vor den Sozialgerichten zu suchen.  Deshalb gibt es von diesem Grundsatz der Kostenfreiheit nur wenige Ausnahmen.
     

  • Eine Ausnahme gilt nur bei einer Klage gegen eine private Pflegeversicherung (nicht: gegen eine Pflegekasse im Rahmen der sog. sozialen Pflegeversicherung). Dort müssen Kosten des privaten Versicherungsunternehmens (z.B. Anwaltsgebühren) erstattet werden, soweit man den Prozess verliert.

    Eine Ausnahme vom Grundsatz der Kostenfreiheit gilt bei nachlässiger oder rechtsmissbräuchlicher Prozessführung
    . Das Gericht kann einem Prozessbeteiligten Kosten auferlegen, wenn durch sein Verschulden eine mündliche Verhandlung vertagt werden musste oder ein neuer Verhandlungstermin nötig geworden ist. Gleiches gilt, wenn der Rechtsstreit rechtsmissbräuchlich fortgeführt wird, obwohl in einem Gerichtstermin eine Belehrung über die Missbräuchlichkeit und die mögliche Kostenauferlegung erfolgt ist.
    Die Kostenfreiheit gilt ferner nicht, wenn der Kläger sich aus den Akten Abschriften (Kopien) fertigen lässt. oder das Gericht vom Kläger eingereichten Unterlagen fertigen muss, weil der Kläger nicht genügend Kopien beigefügt hat.
    Nicht zu den Gerichtskosten zählen die Kosten für einen Rechtsbeistand. Vielmehr gehören diese zu den sog. außergerichtlichen Kosten
    . Sie fallen deshalb nicht unter den Grundsatz der Kostenfreiheit. Wenn man den Prozess verliert, muss man daher in aller Regel die Kosten für den eigenen Rechtsbeistand, also eine anwaltliche Vertretung selbst tragen.

  • Im Gegensatz zum Arbeitsgerichtsverfahren und den sonstigen zivilrechtlichen verfahren ist im Sozialrecht (wie in allen öffentlich – rechtlichen Bereichen) ist regelmäßig vor dem eigentlichen Gerichtsverfahren noch ein Vorverfahren bei der ursprünglichen Behörde zu absolvieren.
  • Dies erfolgt dadurch, dass zunächst ein Widerspruch eingelegt wird.

    Die Behörde überprüft dabei noch einmal selbst die Rechtmäßigkeit Ihrer Entscheidung. Erst, wenn auch diese Kontrolle erfolglos geblieben ist, ist der Weg zu den Sozialgerichten eröffnet; wird das Widerspruchsverfahren versäumt, wird die Klage sofort ohne weitere Prüfung abgewiesen.

    Wo, wie und bis wann die Klage erhoben werden kann, steht dann im Widerspruchsbescheid als Rechtsbehelfsbelehrung, zu beachten ist allerdings, dass diese immer  innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides einzureichen ist.

     

    In der Regel lässt das Sozialgericht nach dem Eingang der Klage zunächst  in einem sog. Erörterungstermin den Fall mit den Beteiligten besprechen.

    Schlägt dort eine gütliche Einigung endgültig fehl wird in einem öffentlichen Verhandlungstermin weiterverhandelt, an dem dann auch die ehrenamtlichen Richter mitwirken.

    Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage und einer geheimen Beratung verkündet das Gericht dann bereits im Termin das Urteil, dieses wird jedoch dann später noch schriftlich und mit einer ausführlichern Begründung zugestellt.

     

    Der Verfahrensablauf in der zweiten und der dritten Instanz ist dann wiederum denen im Arbeitsgerichtsprozess vergleichbar

Rechtsanwalt Ulf Richter, Bielefeld.

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